Idiopathische Sterilität: Definition, Behandlung und Chancen 

Paar steht Händchenhaltend am Strand und schaut aufs Meer

Was ist idiopathische Sterilität?

Idiopathie bezeichnet in der Medizin solche Symptome, deren Ursache mit bekannten Mitteln nicht diagnostiziert werden kann. Im Falle des unerfüllten Kinderwunsches ist bei idiopathischer Sterilität kein klarer Grund für eine Unfruchtbarkeit erkennbar.

Was versteht man unter Unfruchtbarkeit?

Über zehn Prozent aller Paare gelten in Deutschland als ungewollt kinderlos. Wenn über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr und wirksamer Anstrengung keine Schwangerschaft entsteht, wird von einem nicht erfüllten Kinderwunsch gesprochen. Ursache kann einerseits eine Unfähigkeit der Frau sein, schwanger zu werden, andererseits auch das Unvermögen beim Mann, ein Kind zu zeugen. Kommt es trotz erfolgreicher Befruchtung und Einnistung des Embryos in keinem Fall zu einer Lebendgeburt, wird das als Infertilität beschrieben. Darüber hinaus unterscheidet die Medizin zwei Formen der Sterilität.

  • Eine primäre Sterilität besteht, wenn eine Frau noch nie ein Kind empfangen oder ein Mann noch kein Kind gezeugt hat. Ein weiteres Kriterium hierfür besteht in einer eindeutigen und nachweisbaren Ursache der Kinderlosigkeit.

  • Gab es hingegen in der Vergangenheit schon einmal eine Mutter- oder Vaterschaft und kann diese in der aktuellen Partnersituation nicht wiederholt werden, so ist bei einem oder beiden Partnern von einer sekundären Sterilität auszugehen.

Kann trotz gewissenhafter Diagnostik keine Ursache einer Unfruchtbarkeit bei Frau oder Mann aufgezeigt werden, wird dies in der medizinischen Fachsprache mit dem Begriff der idiopathischen Sterilität umschrieben. Eine Sterilität betrifft jeweils zu 30 Prozent die Frau, den Mann oder beide Partner. Die Ursachen der Unfruchtbarkeit sind vielfältig und können von einer erblichen Veranlagung über Infektionskrankheiten, hormonelle Störungen oder Verletzungen bis hin zu einem ungesunden Lebensstil reichen. Ausführliche Informationen sind unter „Unfruchtbarkeit der Frau: Ursachen und Anzeichen“ und „Unfruchtbarkeit beim Mann: Anzeichen, Ursachen und Behandlung“ nachzulesen.


Die Ursachensuche einer möglichen Sterilität sollte ausschließlich Medizinern vorbehalten bleiben. Wichtig ist, in die gestellte Diagnose einer idiopathischen Sterilität Vertrauen zu haben. Auch die Klärung, ob eine ernste psychische Erkrankung hinter einer Kinderlosigkeit steht, muss einem Facharzt überlassen werden. Überhöhte Erwartungen an sich selbst und an den Partner können zu Ängsten und Blockaden führen.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei idiopathischer Sterilität?

Soweit trotz nicht erkennbarem medizinischem Grund auch nach zwei Jahren keine Schwangerschaft eintritt, sollte über alternative Methoden zur Erfüllung des Kinderwunsches nachgedacht werden. Da der natürliche Weg ausgeschlossen scheint, kommen insbesondere Techniken einer assistierten Reproduktion wie etwa IVF oder ICSI für die Erfüllung des Kinderwunsches infrage. Statistisch besteht jedoch immer eine Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent, auch ohne medizinisches Eingreifen innerhalb eines Jahres schwanger zu werden. Nach 2,5 Jahren steigt die Schwangerschaftsrate bei einem natürlichen Vorgehen auf 41 Prozent. [1] So rät das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) Paaren, es mindestens zwei Jahre auf natürlichem Wege zu versuchen. Erst wenn sich bis dahin noch immer kein Erfolg einstellt, sollte eine künstliche Befruchtung in Erwägung gezogen werden.

Zyklusmonitoring mit oder ohne hormonelle Stimulation

Die einfachste Behandlung besteht in einer Überwachung (Monitoring) des Hormonstatus der Frau. Zum gegebenen Zeitpunkt wird der Eisprung ausgelöst. Der Geschlechtsverkehr ist so zum optimalen Zeitpunkt möglich. Von Vorteil kann die gleichzeitige Gabe von Clomifen sein. Der Wirkstoff regt die Eierstöcke an und scheint gleichermaßen die Schwangerschaftsrate zu erhöhen. [2] Allgemein gilt diese Methode als vielversprechende Ersttherapie bei einer idiopathischen Sterilität und wird meist für drei bis sechs Behandlungszyklen empfohlen.

Insemination (Samenübertragung)

Während beim Zyklusmonitoring insbesondere die Sterilität der Frau im Vordergrund steht, wird die Insemination bei wiederholten Auffälligkeiten des Spermiogramms eingesetzt. Im direkten Vergleich mit dem Zyklusmonitoring lässt sich bei der Insemination ein leichter Vorteil hinsichtlich der Erfolgsrate von Lebendgeburten feststellen. [3] Auch bei dieser Methode ist Geduld erforderlich. Nicht immer stellt sich eine Schwangerschaft gleich nach der ersten Behandlung ein.

Künstliche Befruchtung

Eine In-Vitro-Fertilisation (IVF) oder Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) führt nach Aussage der meisten wissenschaftlichen Berichte zu einem höheren Behandlungserfolg bei unerfülltem Kinderwunsch. [4] Eine assistierte Maßnahme wird grundsätzlich nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach der Diagnosestellung empfohlen. Auch das Lebensalter der Frau sollte bei der Auswahl der Methode eine Rolle spielen. In jungen Jahren besteht noch über einen langen Zeitraum die Aussicht, auf natürliche Weise schwanger zu werden. Kurz vor Eintritt der Menopause kann eine IVF/ICSI die letzte Chance sein, ein eigenes Kind zu gebären. [5]

Psychotherapie

Mögliche psychische Komponenten einer Fertilitätsstörung werden kontrovers diskutiert. Während die eine Seite eine psychogene Unfruchtbarkeit für nicht bewiesen hält, kommen andere Wissenschaftler zur Überzeugung, Fruchtbarkeitsstörungen könnten u.U. sogar auf ein ausschließlich psychisches Problem hinweisen. Erwiesen ist, dass Stress, sei er beruflich bedingt oder die Folge überzogener Erwartungen an den eigenen Selbstwert, zur sexuellen Fehlfunktionen führen kann (erektile Dysfunktion, hormonelle Schwankungen). Auch die Psychoanalyse bietet Erklärungsmodelle bei unerfülltem Kinderwunsch an. Dass sich aufgrund eines unterbewussten Abwehrverhaltens gegenüber einer Schwangerschaft nicht nachweisbare organische Fehlfunktionen entwickeln können, erscheint denkbar. Extreme psychische Auffälligkeiten wie Magersucht oder anderes Suchtverhalten führen hingegen bewiesenermaßen zu sexuellen Funktionsstörungen. [6]

Wie sehen die Erfolgschancen aus?

Die aktuelle Studienlage lässt den Schluss zu, dass eine erfolgreiche Behandlung der idiopathischen Sterilität vor allem eine Frage der Geduld ist. Immerhin ein Viertel der betroffenen Frauen werden nach einem Jahr ohne medizinische Hilfestellung schwanger. Auch mit reproduktionsmedizinischen Methoden stehen die Chancen zur Behandlung der Unfruchtbarkeit nicht schlecht. Pro Behandlungszyklus mit IVF/ICSI kommt in etwa 20% der Fälle ein Baby zur Welt

Wer trägt die Kosten einer Therapie bei idiopathischer Sterilität?

Die Behandlung idiopathischer Sterilität ist Teil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Lassen Sie sich von Ihrem Arzt oder Ihrer Krankenkasse über den Umfang der Leistungen informieren. Gleiches gilt für die privaten Krankenkassen (PKV). Erkundigen Sie sich im Vorfeld einer Behandlung, welche Kosten übernommen werden. Insbesondere muss beachtet werden, bei wem die Gründe für eine mangelnde Unfruchtbarkeit liegen (Verursacherprinzip), wenn die Partner bei unterschiedlichen Kassen versichert sind (GKV/PKV).

Quellen:


[1] Natural conception rates in couples with unexplained or mild male subfertility scheduled for fertility treatment: A secondary analysis of a randomized controlled trial. R. van Eekelen et al., Human Reproduction, veröffentlicht 12 March 2018

[2] Evidence-based approach to unexplained infertility: a systematic review. Gunn DD, Bates GW., Fertil Steril. 2016 Jun;105(6):1566-1574.e1. doi: 10.1016/j.fertnstert.2016.02.001

[3] Interventions for unexplained infertility: a systematic review and network meta‐analysis Wang, R., Danhof, N. A., Tjon‐Kon‐Fat, R. I., Eijkemans, M. J., Bossuyt, P. M., Mochtar, M. H & van Wely, M. (2019), Cochrane Database of Systematic Reviews

[4] In vitro fertilisation for unexplained subfertility. Pandian Z, Gibreel A, Bhattacharya S., Cochrane Database Syst Rev. 2015 Nov 19;(11):CD003357. doi:10.1002/14651858.CD003357.pub4

[5] Are we overusing IVF? Esme I Kamphuis, PhD student, S Bhattacharya, professor, F van der Veen, professor, B W J Mol, professor , A Templeton, professor emeritus for the Evidence Based IVF Group, BMJ 2014; 348 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.g252 (Published 28 January 2014) Cite this as: BMJ 2014;348:g252

[6] Fertilitätsstörungen — Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie. Leitlinie und Quellentext Kentenich, H., Wischmann, T., Stöbel-Richter, Y. (2013), 1.Revision, Psychosozial Verlag, Göttingen