Überstimulationssyndrom: Symptome, Ursachen & Behandlung

Drei dunkelhaarige Frauen stehen nebeneinander und schauen in die Ferne

Was ist das Überstimulationssyndrom?

Die Überstimulation der Eierstöcke, auch ovarielles Hyperstimulationssyndrom (OHSS) genannt, gilt als wesentliche Komplikation bei der In-vitro-Fertilisation. [1] Neben einer Vergrößerung der Eierstöcke leiden die Patientinnen dabei vor allem unter Flüssigkeitseinlagerungen und der Neigung zu Blutgerinnseln. Die Erkrankung kann zu lebensbedrohlichen Situationen führen.

Welche Ursachen hat die Überstimulierung?

Bei einer Kinderwunschbehandlung wird häufig die Reifung von Eizellen durch Medikamente stimuliert. Sind Follikel in ausreichendem Maße und Reifezustand vorhanden, so kann der Eisprung eingeleitet werden. Eine zu hohe Dosierung von Hormongaben kann zu einer Überstimulation führen. Selbst ein erfahrener Gynäkologe wird nicht immer die Grenze zwischen einem Übermaß und einer gerade ausreichenden Stimulation exakt abschätzen können. Genetische Faktoren und die Ausschüttung körpereigener Substanzen haben zusätzlich Einfluss auf die individuelle Situation der Patientin. Vor allem Frauen unter 35 Jahren besitzen ein höheres Risiko für ein Überstimulationssyndrom. Die Empfänglichkeit gegenüber den verabreichten Hormonen (Gonadotropine: FSH, HCG) ist in jüngerem Alter noch stärker ausgeprägt. [2] [3] Ebenso wird eine größere ovarielle Reserve als Ursache diskutiert. [4]

Welche Anzeichen gibt es?

Die körperlichen Symptome sind abhängig vom Ausmaß der Überstimulation. Beschwerden treten meist direkt nach dem Eisprung beziehungsweise nach der Punktion der Eierstöcke auf. Bauchschmerzen, Durchfälle und Übelkeit können auch bei natürlichen Schwangerschaften auftreten und sind durch einen erhöhten HCG-Wert bedingt. Bei Durchfällen und Erbrechen sollten mögliche Folgen einer Minderversorgung mit Mineralstoffen (Elektrolyte) ausgeglichen werden. Häufig klagen betroffene Patientinnen über einen aufgeblähten Bauch oder Atemnot. Beiden Symptomen liegt eine Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum (Aszites) oder dem Brustfell (Pleura) zugrunde. Aufgrund der Verlagerung von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen in den Bauchraum oder das Brustfell dickt das Blut ein und es entsteht eine erhöhte Thrombosegefahr (Blutgerinnsel). Gleichermaßen besteht ein erhebliches Risiko einer Durchblutungsstörung der Nieren, welches in einem akuten Nierenversagen münden kann. Seltener, aber ebenso ernst zu nehmen ist eine Herabsetzung der Gerinnung, welche sich durch eine Häufung von Blutergüssen oder Nasenbluten bemerkbar machen kann.

Wie wird eine Überstimulation diagnostiziert?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilt das OHSS in drei Grade ein. [5]

  • Beim Grad I sind die Eierstöcke leicht vergrößert (bis 5 cm).

  • Grad II ist durch eine deutliche Zunahme der Ovarien (6 bis 12 cm) gekennzeichnet. Darüber nimmt der Bauchumfang zu und es entstehen erste Anzeichen von Übelkeit und Erbrechen.

  • Beim Grad III spricht man von einer schweren Überstimulation mit stark vergrößerten Eierstöcken (größer 12 cm). Im Ultraschall ist ein deutlicher Aszites (Ansammlung von Flüssigkeit in der Bauchhöhle) zu erkennen.

Labordiagnostisch gibt der Hämatokrit (Maß für rote Blutkörperchen im Blut) einen Hinweis auf den Grad einer erhöhten hormonellen Stimulation. Der Wert spiegelt den Anteil der festen Blutbestandteile und damit der Flüssigkeit des Blutes wieder. Steigt der Hämatokrit über einen Wert von 55%, ist der Zustand lebensbedrohlich. Eine Einweisung in die Intensivstation eines Krankenhauses ist beim Grad III unumgänglich.

Wen kann das Überstimulationssyndrom betreffen?

Statistisch betrifft das Überstimulationssyndrom mit schwerer Ausprägung lediglich 0,25% aller Behandlungen innerhalb Deutschlands. (weltweit 0,2% bis 5%). [6] In vielen Fällen sind die Beschwerden auf eine zu hoch berechnete Dosierung der Hormone zurückzuführen und liegen damit im Verantwortungsbereich des Arztes. Ein junges Alter, Untergewicht, aber auch das polyzystische Ovarsyndrom (PCO-Syndrom) können eine Überstimulation begünstigen.

Welche Risiken gibt es bei Überstimulation?

Ein erhöhtes Volumen freier Flüssigkeit im Bauch und Lungenfell geht häufig mit einer erheblichen Gewichtszunahme einher. Bis zu 20 kg innerhalb einer Woche sind durchaus möglich. Das kann zu einer starken Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und vor allem zu Funktionseinbußen der Lunge sowie Embolien (Verstopfung von Blutgefäßen) führen. [7] [8] Die Bildung von Thromben (Gerinnsel), wie sie auch ursächlich bei einem Schlaganfall sind, wird dagegen selten beobachtet. [9] Für den Embryo besteht durch das Überstimulationssyndrom kein Risiko. Vielfach tritt das Krankheitsbild erst mit einer entstandenen Schwangerschaft auf, da das Hormon HCG vermehrt gebildet wird und auf die Eierstöcke einwirkt. [10] Die Folgen der OHSS jedoch müssen gerade auch im Hinblick auf die Gesundheit des Embryos notfallmäßig behandelt werden.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Besteht ein Überstimulationssyndrom, können nur die vorhandenen Symptome der Krankheit behandelt werden. Dabei wichtig ist die regelmäßige Überwachung des Bauchumfanges, des Körpergewichtes und des Hämatokritwertes. Bei fortgeschrittenen Krankheitsbildern ist die Kontrolle der Nierenwerte und der Gerinnung angezeigt. Vor allem eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (drei bis vier Liter täglich), gegebenenfalls auch über die Vene, ist eine wichtige Maßnahme um die Gefahr von Gerinnseln zu verhindern. Die Infusion albuminhaltiger Lösungen kann die Verlagerung von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen vermeiden. Zur Vorbeugung steht auch eine große Auswahl an rezeptfreien Präparaten zur Verfügung. Zudem wird eine eiweißreiche Ernährung empfohlen. Bei Erbrechen und starken Schmerzen können unter Berücksichtigung einer möglichen Schwangerschaft Medikamente verabreicht werden. Gerinnungshemmende Präparate (Heparin) und Thrombosestrümpfe sind ab Grad II in Erwägung zu ziehen.

In schweren Fällen muss im Krankenhaus die Flüssigkeitsansammlung mit einer Kanüle entnommen werden. Dies wird in den meisten Fällen zu einer spürbaren Entlastung der Frauen führen. Spätestens dann ist eine engmaschige Kontrolle der Gerinnung und der Nierenwerte angezeigt.

Wie lange können die Beschwerden anhalten?

Das ovarielle Überstimulationssyndrom geht spätestens drei Monate nach Eintritt der Schwangerschaft von selbst zurück. Eine angemessene Behandlung der Folgen der Krankheit kann darüber hinaus andauern. Auch erhöhte Laborwerte müssen nicht zwingend mit dem Verschwinden der Krankheitszeichen in den Normbereich zurückgehen. Entscheidend für die Dauer ist das Eintreten einer Schwangerschaft. Ist der Kinderwunsch erfüllt, hält die Erkrankung selten länger als zwei Wochen an. Im Falle einer erfolgreichen Kinderwunschbehandlung können die Krankheitszeichen durch die Produktion von körpereigenem HCG noch einige Wochen andauern.

Wie kann ich einer Überstimulation vorbeugen?

In erster Linie ist es die Aufgabe des behandelnden Arztes, die Gefahr eines Überstimulationssyndroms einzuschätzen. Vor allem die Dosierung der Gonadotropine (FSH) und das Auslösen des Eisprungs durch hCG (oder GnRH-Analoge) bestimmen das Risiko. In diesem Zusammenhang hat das sogenannte Coasting an Bedeutung gewonnen. Wird im Ultraschall eine hohe Anzahl reifer Follikel bei gleichzeitig stark ansteigendem Östradiolwert festgestellt, kann der Gynäkologe die Verabreichung des FSH unterbrechen. Mit dieser Methode soll die Anzahl der reifen Follikel verringert werden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit eines OHSS abschwächt. Die Methode ist jedoch aktuell umstritten. In einer Studie aus dem Jahre 2008 konnte unter Verabreichung von Dopamin-Agonisten (Cabergolin) eine deutliche Verminderung der Überstimulation beobachtet werden. Zwar ist das Medikament nicht zur Behandlung dieses Krankheitsbildes vorgesehen (off-label-use), die Erfolge sind jedoch beachtlich. Gleiches gilt für Metformin, wenn es gleichzeitig mit der Stimulationstherapie gegeben wird. Das Syndrom einer Überstimulierung entsteht nach der Punktion beziehungsweise im Verlauf einer Schwangerschaft. Ist ein ovarielles Überstimulationssyndrom zu vermuten, so sollte darauf verzichtet werden, unmittelbar schwanger zu werden. Lässt die angedachte Methode der Kinderwunschbehandlung ein Einfrieren (Kryokonservieren) von befruchteten Eizellen zu, so wäre dies zu empfehlen

Quellen:


[1] Kupka MS, Ferraretti AP, de Mouzon J et al. Assisted reproductive technology in Europe, 2010: results generated from European registers by ESHREdagger. Hum Reprod 2014; 29: 2099-2113

[2] Montanelli L, Delbaere A, Di Carlo C et al. A mutation in the follicle-stimulating hormone receptor as a cause of familial spontaneous ovarian hyperstimulation syndrome. J Clin Endocrinol Metab 2004; 89: 1255-1258

[3 ]Rodien P, Beau I, Vasseur C. Ovarian hyperstimulation syndrome (OHSS) due to mutations in the follicle-stimulating hormone receptor. Ann Endocrinol (Paris) 2010; 71: 206-209

[4 ]B. Rizk, M. Aboulghar: Classification, pathophysiology and management of ovarian hyperstimulation syndrome. In: P. Brinsden (Hrsg.): In-vitro fertilization and assisted reproduction. Parthenon Publishing, New York / London 1992, ISBN 1-85070-323-X.

[5 ]Kissler S, Siebzehnrübl E, Kaufmann M. Von der Pathophysiologie und Prävention des ovariellen Überstimulationssyndrom (OHSS) bis zur stadiengerechten Therapie. Geburtsh Frauenheilk 2002; 62: 1155-1161

[6] Kupka MS, Ferraretti AP, de Mouzon J et al. Assisted reproductive technology in Europe, 2010: results generated from European registers by ESHREdagger. Hum Reprod 2014; 29: 2099-2113

[7] Aboulghar MA, Mansour RT, Serour GI, Amin YM. Moderate ovarian hyperstimulation syndrome complicated by deep cerebrovascular thrombosis. Hum Reprod 1998; 13: 2088-2091

[8] Stewart JA, Hamilton PJ, Murdoch AP. Thromboembolic disease associated with ovarian stimulation and assisted conception techniques. Hum Reprod 1997; 12: 2167-2173

[9] Jing Z, Yanping L. Middle cerebral artery thrombosis after IVF and ovarian hyperstimulation: a case report. Fertil Steril 2011; 95: e2413-e2435

[10] van der Linden M, Buckingham K, Farquhar C, et al; Luteal phase support for assisted reproduction cycles. Cochrane Database Syst Rev. 2011 Oct 5;(10):CD009154. doi: 10.1002/14651858.CD009154.pub2